"Der Lerneffekt, wenn man Wissen selbst zusammenfasst, ist allein nicht sonderlich groß."

 

Befindet man sich in der Examensvorbereitung, dann kennt man üblicherweise Mind-Maps, analoge Karteikarten und Skripte. Thomas hat sich hingegen in seiner Examensvorbereitung gedacht, dass ein Lernen mit digitalen Karteikarten sinnvoller wäre. In diesem Interview sprechen wir mit Thomas über seine Basiskarten und das Programm Anki.  - Christiane Wörgötter


Thomas Kahn hat in Mainz Jura studiert und in Berlin sein zweites Saatsexamen abgelegt. Für seine Examensvorbereitung hat Thomas die Lernsoftware Anki genutzt, für die er verschiedene Plugins entwickelt und in die er das für das Examen relevante juristische Wissen eingegeben hat. Mit seiner Lernmethode erreichte er ein "Gut" im ersten und ein "Vollbefriedigend" im zweiten Staatsexamen.

Schon während seines Referendariats 2015 hat er damit begonnen, die Karteikarten aus seiner eigenen Examensvorbereitung auch anderen zu Verfügung zu stellen. Er bietet sowohl kostenlose Plugins wie die Jura-Vorlagen oder das Butler-Addon als auch kostenpflichtige, fertige Stapel zu Themen wie BGB AT oder Grundrechte an.


Welche Vorteile haben deine digitalen Karteikarten gegenüber analogen Karteikarten?

Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Bevor ich meine Examensvorbereitung begann, habe ich mich gefragt, wie ich all das Wissen auch zwei Jahre später noch abrufen kann. Ich stieß dann auf das Spaced Repetition-Programm Anki. Was mich überzeugt hat, war, dass dieses Programm über einen intelligenten Algorithmus verfügt, der für jede eingegebene Information den optimalen Wiederholungszeitpunkt berechnet. Das heißt, man wiederholt eine Information immer kurz vor dem Vergessen. Dadurch kann ich mir sicher sein, dass ich – bei regelmäßiger Wiederholung – alles Gelernte im Kopf behalte.

Bei einer klassischen Examensvorbereitung muss ich selbst unterschiedliche Wiederholungsblöcke einplanen. Anki nimmt einem diese Arbeit komplett ab. Das Programm weiß: „OK, die paar Information aus dem Bereicherungsrecht, die kann er noch nicht gut, die müssen wiederholt werden. Der Rest sitzt schon sicherer und muss erst später wiederholt werden.“ Das Programm geht maximal effizient auf meinen persönlichen Lernfortschritt ein. Die Lernzeit wird optimal genutzt, weil man sich immer nur mit den Informationen beschäftigt, die ansonsten vergessen werden würden.

Es gab noch weitere Aspekte, die mich von Anki überzeugt haben. In einem Wort ausgedrückt: Es gibt in Anki die Möglichkeit, sogenannte Notiztypen zu erstellen. Das bedeutet, dass man zu einer Karteikarte mehrere Fragen oder Teilfragen erstellen kann. Das Schöne daran ist, dass dann nicht alles auf einmal abgefragt wird, sondern dass immer nur ein kleiner Teil und punktuell abgefragt wird. Dadurch kann Anki noch besser den Wiederholungszeitpunkt für einzelne Informationen berechnen, so dass wirklich nur die Sachen wiederholt werden, die man noch nicht so gut beherrscht.

Digitale Tools haben natürlich auch im Allgemeinen viele Vorteile: Da die Lerninformationen in einer Cloud gespeichert sind, kann ich sie überall mit hinnehmen und sie gehen nicht so leicht verloren. Zudem kann ich Karteikarten nachträglich beliebig abändern, z.B. wenn die Formatierung nicht passt oder ich einen Fehler entdecke.


Du hast gesagt, dass du mit Anki in deiner Examensvorbereitung gelernt hast: War das von Anfang an so oder war das ein Prozess?

Das war tatsächlich von Anfang an so. Ich habe zuerst meine Schwerpunktbereichsprüfung  gemacht und bin danach in den staatlichen Pflichtteil eingestiegen. Ich habe mir schon gegen Ende des Schwerpunkts Gedanken darüber gemacht, wie ich mich richtig auf das Examen vorbereiten kann, so bin ich auch auf Anki gestoßen. Ich habe viel recherchiert und verschiedene Programme verglichen. (Ein Artikel, der damals großen Einfluss auf mich hatte, war Anki all the way von K. M. Lawson.) Am Ende war ich mir sicher, dass ich in der Examensvorbereitung mit Anki lernen will. Aber wenn man merkt, was man da alles einstellen und sogar noch zusätzlich basteln kann, dann ist das schon verführerisch.

Das erste Dreivierteljahr ist dann auch überwiegend für Experimente und Programmierung draufgegangen. Insofern war das also auch ein Prozess. Ich bereue das aber keineswegs. Aus dieser Zeit sind die Jura-Vorlagen hervorgegangen, die einem helfen, juristisches Wissen leichter auf Karteikarten zu übertragen und sich dann auch damit abzufragen. Durch meine experimentelle Herangehensweise hat meine Examensvorbereitung insgesamt allerdings zwei Jahre und drei Monate gedauert.


Einen wesentlichen Lerneffekt erzielt man ja durchs Selbstverfassen. Geht das nicht durch den Rückgriff auf vorgefertigte Karteikarten wie die Basiskarten verloren?

Das ist eine berechtigte Frage. Es stimmt zunächst, dass es einen Lerneffekt hat, wenn man Wissen selbständig zusammenfasst. Die Frage ist allerdings, wie stark dieser Effekt ist. Und der ist meiner Erfahrung nach – Ich habe früher auch immer Skripte geschrieben und Mindmaps erstellt – leider nicht sonderlich groß. Das sage aber nicht nur ich, sondern wurde 2013 auch von John Dunlosky in einer Metaanalyse festgestellt. Viele fanden dieses Ergebnis überraschend.

Etwas aufzuschreiben führt also leider noch nicht dazu, dass man es langfristig behält. Was dazu führt, ist Wiederholung, insbesondere die Wiederholung in wachsenden Abständen (Spacing Effect) und indem ich mich selbst aktiv abfrage (Testing Effect). Und das ist natürlich ebenso mit vorgefertigten Karteikarten möglich wie mit selbst erstellten.

Die Basiskarten ersparen einem also vor allem das mühsame Abtippen und Aufteilen des Lernstoffs auf einzelne Karten. Anders als andere Lernmaterialien sind sie aber auch beliebig veränderbar, falls einem etwas daran nicht passt.

Was man vielleicht auch unterschätzt, ist, wie viel Arbeit es ist, gute Karteikarten zu erstellen. Es gibt Karten, an denen habe ich tage- und sogar wochenlang gefeilt, bis sie wirklich gut lernbar waren. Für sowas hat man in der Examensvorbereitung natürlich wenig Zeit.


Was verstehst du unter Digitalisierung im Jurastudium? Wie sieht es da aus deiner Sicht aktuell in unserem Fach aus?

Ich verstehe Digitalisierung als Prozess, der den zunehmenden Einsatz digitaler Tools in einem bestimmten Bereich beschreibt. Der Begriff ist für mich erst einmal wertneutral. Ich würde sagen, es geht darum, im Einzelfall zu prüfen, wo Digitalisierung sinnvoll ist.

Ein naheliegendes Beispiel ist die Recherche in Online-Datenbanken. Eine Volltextsuche ist natürlich deutlich komfortabler als in einem Kommentar nachzuschlagen, in dem sich jedes Jahr ungefähr 0,5% ändern, der dann aber jeweils komplett neu angeschafft werden muss.

Auch Programme wie Anki zeigen meiner Meinung nach, wie gewinnbringend Digitalisierung sein kann.

Gerade in der letzten Zeit finde ich es begrüßenswert, dass viele ihre Vorlesungen aufnehmen, dass man also die Möglichkeit hat, sie auch später noch – im eigenen Tempo – anzuschauen. Außerdem wird Wissen dadurch dezentralisiert. Es geht weg von der Uni. Theoretisch kann plötzlich jeder Mensch auf der Welt Zugriff auf diesen Wissensbereich haben, der vorher nur einem kleinen Kreis an Leuten vorbehalten war.

Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass es teilweise zu viel Digitalisierung gibt. Das zeigt sich jetzt z.B. durch die reinen Online-Semester. Wenn man zuhause wohnen bleibt und sich Vorlesungen und Seminare per Zoom anschaut, statt in eine andere Stadt zu ziehen, sich mit seinen Kommilitonen anzufreunden und am Uni-Leben teilzunehmen, dann geht dabei natürlich etwas verloren.

Ein anderer Aspekt ist, dass bei der Arbeit am PC die Gefahr viel größer ist, dass ich mich völlig in digitalen Inhalten verliere. Instagram und YouTube sind immer in Reichweite. Wenn ich am PC lerne, muss ich deshalb Strategien finden, um davor gefeit zu sein.

Hier gibt es zwei Programme, die mir sehr helfen. Das eine nennt sich Cold Turkey. Damit kann man ablenkende Webseiten während der Arbeitszeit sperren. Es ist einfach leichter, sich zu konzentrieren, wenn man gar nicht die Option hat, von Beck Online mal schnell zu YouTube zu wechseln. Das andere Programm ist eine App, die ich habe entwickeln lassen, und zwar die Lock My Phone-App. Die sperrt das Telefon zu den eingestellten Zeiten – und auf Wunsch nur an bestimmten Orten – einfach komplett.


Du hast gerade gesagt, dass du es gut findest, dass Vorlesungen aufgenommen werden. Das wäre ja theoretisch auch vor 5 Jahren schon technisch möglich gewesen. Denkst du dass der Fortschritt auch gerade im Jurastudium etwas langsamer ist im Vergleich zu anderen Studiengängen?

Ich kenne andere Studiengänge natürlich nicht so gut wie meinen eigenen, aber ich würde nicht unbedingt sagen, dass wir da im Vergleich schlechter dastehen. Von meinem Bruder weiß ich, dass Medizinstudenten das System „Amboss“ benutzen. Das ist sehr gut gemacht und wird auch wirklich von fast allen Medizinern genutzt. (Das Unternehmen ist übrigens ebenfalls ein großer Unterstützer von Anki.) Ein vergleichbares Tool, das sich bei Juristen so breit durchgesetzt hat, gibt es nicht. Dafür gibt es bei uns verschiedene hochwertige Angebote: Abgesehen von den Basiskarten z.B. Jura Online, Juracademy oder Lecturio. Vielleicht ist aber die Mentalität von Juristen insgesamt einfach etwas zurückhaltender gegenüber neuen Lernmethoden.


Denkst du, die Zukunft wird vom digitalen Lernen geprägt sein?

Keine Frage. Wenn ich die Situation jetzt mit 2012 vergleiche, als ich meine Vorbereitung auf das erste Staatsexamen begonnen habe, ist das schon ein riesiger Unterschied. Ich hatte damals verblüfft festgestellt, dass bisher anscheinend noch niemand auf die Idee gekommen war, Anki als Grundlage seiner Examensvorbereitung einzusetzen. (Während meiner Vorbereitung stieß ich dann allerdings doch noch auf einen Forenbeitrag eines anderen Juristen, der berichtete, dass er schon vor mir Anki für seine Examensvorbereitung eingesetzt hatte – ebenfalls mit gutem Erfolg.)

Heute sieht die Sache ganz anders aus: Anki ist viel weiter entwickelt, es gibt Anwendungen für jedes System, einen Einführungskurs auf YouTube, vorgefertigte Kartensets und unzählige Plugins, um das Programm genau an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Auch an positiven Erfahrungsberichten fehlt es nicht. Langsam aber sicher werden auch Unis darauf aufmerksam und Anki wird in Einführungs- und Lernmethodik-Veranstaltungen erwähnt, was mich sehr freut. Die FU Berlin war insofern ein Vorreiter, dort habe ich 2014 erstmals einen Kurs zum Einsatz von Anki im Jura-Studium gehalten.


Das Konzept von Anki (Begriff: Spaced-Repetition-Software) ist jetzt schon mehrfach angeklungen. Kannst du uns das noch einmal zusammenfassen?

Klar. Spaced Repetition Programme wie Anki basieren auf zwei lernpsychologischen Prinzipien: Dem Spacing Effect und dem Testing Effect.

Der Spacing Effect betrifft den Zeitpunkt, in dem ich eine Information wiederhole. Da weiß man mittlerweile: Es ist viel effektiver, die Wiederholungen zeitlich zu verteilen. Anki arbeitet mit wachsenden Intervallen, das heißt, der Abstand zwischen den einzelnen Wiederholungen wird immer größer. Wenn es darum geht, Informationen möglichst lange im Kopf zu behalten, ist das deutlich effektiver, als dieselbe Karteikarte mehrmals kurz nacheinander zu wiederholen und dann längere Zeit gar nicht mehr.

Das andere Prinzip ist der Testing Effect, der die Art und Weise betrifft, wie ich wiederhole. Ich habe zwei Möglichkeiten, Wissen zu wiederholen: Einerseits, indem ich es nochmal lese, also passiv aufnehme, oder andererseits, indem ich mich abfrage und versuche, es aktiv wiederzugeben (Active Recall). Zugegeben, letzteres ist anstrengender, aber in Studien erweist es sich als deutlich effektiver.


Welches Konzept verfolgst du speziell mit deinen Basiskarten?

Bei den Basiskarten geht es mir darum, das wichtigste Wissen so knapp und verständlich wie möglich wiederzugeben. Aus meiner Sicht gilt: Kurze Karteikarten sind gute Karteikarten. In Spaced Repetition-Kreisen spricht man vom Minimum Information Principle, also von der Idee, dass man sich darum bemüht, mit einer Karte möglichst wenige Informationen abzufragen. Es ist deutlich besser, viele kurze Karteikarten zu haben, als ein paar wenige, die dafür aber sehr lang sind. Ich hatte vor meinem Examen etwa 8.000 Karteikarten in meiner Sammlung. Die konnte ich auch regelmäßig wiederholen, aber das ging nur, weil darunter auch viele kurze Karten waren, die man innerhalb weniger Sekunden beantworten kann. Bei langen Karteikarten funktioniert das einfach nicht.


Als Problem sehe ich ein wenig, dass man oft den Vorsatz fasst: ‚Heute fange ich mit dem Lernen an und mache es kontinuierlich.‘ Gerade bei Anki wird der Widerstand ja recht groß, wenn man das ein paar Tage oder auch Wochen nicht nutzt, weil sich dann viele fällige Karten ansammeln. Hast du irgendwelche Ideen, wie man da die Motivation aufrechterhält oder muss die immer von einem selbst kommen?

Das ist eine sehr gute Frage. Genau das ist eine Herausforderung, die man auf jeden Fall hat, wenn man so ein Tool wie Anki verwendet. Ich würde sagen, es gibt ein paar Strategien, um damit umzugehen.

Die erste, ziemlich einfache, ist die Don‘t Break the Chain-Technik. Die funktioniert so, dass man sich ein kleines Ziel überlegt, z.B.: „Ich lerne jeden Tag mindestens zehn Karteikarten.“ Dann besorgt man sich einen Jahreskalender, auf dem alle Tage abgebildet sind. Und an jedem Tag, an dem man sein Ziel erreicht hat, macht man ein rotes Kreuz und streicht den Tag durch, um zu sagen: „Dieses Ziel habe ich heute geschafft.“ Dadurch visualisiert man den eigenen Fortschritt. Es gibt sogar ein Addon, das die eigene Erfolgskette direkt in Anki anzeigt.

Das Schöne an solchen kleinen Zielen ist, dass man sie auch an schlechten Tagen erreichen kann. Es ist kein Maximum im Sinne von: „Nach 10 Karten höre ich sofort auf.“ Man kann natürlich mehr machen. Aber wenn man so jeden Tag ein bisschen am Ball bleibt, führt das dazu, dass man am Ende deutlich mehr gelernt hat.

Wenn einem das noch nicht reicht, lässt sich das natürlich noch steigern. Es gibt verschiedene Strategien, um dem Ganzen ein bisschen Nachdruck zu verleihen. Man könnte zum Beispiel einen Lernvertrag mit einem Freund schließen: „Für jeden Tag, an dem ich es nicht schaffe, 10 Karteikarten zu wiederholen, bekommst du von mir 5 Euro.“ Insgesamt geht es dabei um Incentive Alignment. Das ist ein Begriff, der ganz gut passt. Die Sachen, die langfristig gut für mich sind, sollen im Einklang stehen mit den Anreizen oder Sanktionen, die mir kurzfristig drohen, wenn ich heute etwas tue (oder eben unterlasse).


Snapchat, Instagram und Facebook arbeiten ja mit Push-Nachrichten auf dem Handy.

Ja, furchtbar.


Ah okay, du findest das also furchtbar. Wie fändest du es, wenn Anki mit Push-Nachrichten arbeiten würde?

Das fände ich gut. Tatsächlich verfügen sowohl die AnkiDroid-App (für Android) als auch die AnkiMobile-App (für iOS*) über diese Funktion. Die Push-Nachrichten von Facebook halte ich hingegen für schädlich. Ihr Hauptzweck besteht darin, mich in einen Strudel nutzloser Neuigkeiten hineinzuziehen, der mich im Leben nicht weiterbringt.

  • AnkiMobile ist leider als einzige Anki-Version nicht kostenlos (Erklärung). Auf allen anderen Systemen (Windows, macOS, Linux, Android) ist Anki kostenlos.


Dann zu deinen Basiskarten. Denkst du, man kann mit deinen Karten vollständig lernen, also vom 1. Semester bis zum Staatsexamen?

Hier muss ich zwei Einschränkungen machen. Zum einen: Es gibt noch nicht für alle Fächer Basiskarten. Das meiste ist abgedeckt, aber insbesondere im Öffentlichen Recht fehlen noch Polizeirecht und Staatshaftungsrecht.

Die zweite Einschränkung, die ich machen würde, ist, dass die Basiskarten erstmal nicht darauf auslegt sind, ein Repetitorium komplett zu ersetzen. Sie sollen vor allem das Basiswissen vermitteln und keine vollständige Sammlung aller denkbaren Streitstände und Probleme darstellen. Für optimal halte ich deshalb die Kombination der Basiskarten mit einem Repetitorium oder mit Examensskripten. Die Basiskarten als Grundlage, der Rest zur Vertiefung.

Auf der anderen Seite kann ich aber auch Folgendes berichten: Ein Kunde von mir, Lukas, hat hauptsächlich mit den Basiskarten gelernt und zusätzlich nur manche Kurse des Unireps besucht. Er kam mit der Strategie auf 11,5 Punkte. Das kann also funktionieren. Ich würde es aber nicht allgemein empfehlen, weil das eben nicht der ursprüngliche Zweck der Basiskarten ist.

Schon im ersten Semester mit Anki zu starten, finde ich persönlich ideal (egal, ob mit meinen Karteikarten oder selbsterstellten). Dann hat man sich bis zum Beginn der Examensvorbereitung schon ein solides Vorwissen erarbeitet, auf dem man aufbauen kann. Es setzt natürlich auch Disziplin und Einsatz voraus, schon am Anfang des Studiums kontinuierlich dranzubleiben.


Wie hoch würdest du den Zeitaufwand schätzen, wenn man ab Beginn der Examensvorbereitung mit deinen Karten lernt?

Dafür würde ich auf meinen Karten-Rechner verweisen, weil das natürlich von verschiedenen Faktoren abhängt: Wie viele neue Karten will ich pro Tag lernen? An wie vielen Tagen pro Woche will ich arbeiten? Et cetera.

Es ist auch möglich, die gesamte eigene Examensvorbereitung nach diesem Prinzip zu planen. Dafür habe ich eine Tabellenkalkulation erstellt, die man sich kostenlos kopieren kann. Es gibt sie in zwei Versionen: Einmal für Leute, die den kompletten Examensstoff selbst durcharbeiten und per Hand in Anki eingeben wollen. Und einmal für die Leute, die hauptsächlich mit meinen Karten lernen und anschließend mit Skripten vertiefen wollen.

In diesen Vorlagen kann ich dann z.B. auch noch eingeben, wie viele Übungsklausuren ich schreiben will oder wann ich mal in Urlaub fahre. Aus diesen ganzen Informationen berechnet die Kalkulation dann den genauen Tag X, an dem ich voraussichtlich mit meiner Examensvorbereitung fertig bin – wenn ich mich an meinen Plan halte.


Sollten Lehrende statt Skripten digitale Karteikarten zur Verfügung stellen?

Ich glaube, es würde sich zumindest niemand beschweren, wenn er den Stoff auch in dieser Form präsentiert bekäme. Karteikarten sind einfach ein gutes Mittel, um zu zeigen: Darauf kommt es an, das hier ist wichtig, das hier ist weniger wichtig. Dafür wären wahrscheinlich alle, die in Vorlesungen sitzen, dankbar.

Ich glaube aber nicht, dass Skripte dadurch ersetzt werden sollten. Natürlich hat auch ein zusammenhängender Text etwas für sich, gerade beim Einstieg in ein Thema. Beides wird und soll weiterhin nebeneinander existieren.

Einen Aspekt finde ich noch interessant, wenn es darum geht, Karteikarten für andere zu erstellen: Mir ist aufgefallen, dass es etwas komplett anderes ist, wenn man gezwungen ist, mit seinen eigenen Karteikarten langfristig zu lernen. Weil man dann wirklich ein Interesse daran hat, die möglichst kurz und verständlich zu gestalten. Anki macht insofern demütig. Man merkt: „Oh, das ist viel zu lang und so einfach nicht lernbar, das muss ich umformulieren.“ Das ist eine Erfahrung, die einem vermutlich fehlt, wenn man schon als Experte ausschließlich Karten für andere erstellt. Da ist man vielleicht etwas zu optimistisch, was das Gedächtnis anderer (oder auch das eigene) angeht. Das ist etwas, das die Basiskarten auch von anderen Karteikarten unterscheidet, weil ich eben selbst lange damit gelernt habe.


Die Basiskarten basieren darauf, dass Jura sehr stark vom Auswendiglernen geprägt ist. Findest du das zeitgemäß oder wie sähe ein zeitgemäßes Studium aus?

Ich habe kein Problem mit dem Begriff „Auswendiglernen“. Für mich ist das etwas Positives. Viele schimpfen auf das Auswendiglernen und sind der Meinung, dass es die schlechtere Alternative zum Verstehen wäre. Das halte ich für vollkommen falsch. Es ist einfach Fakt, dass man in unserem Fach viel wissen muss. Alle Informationen, die wir im Kopf haben, müssen wiederholt werden, sonst werden sie vergessen. Das ist die nüchterne Realität. „Use it or lose it“, sagt die Gedächtnisforschung und Anki ist das beste Mittel, um zu verhindern, dass man Dinge vergisst. Solange es also so ist, dass man in unserem Fach eine große Menge an Wissen über einen längeren Zeitraum beherrschen muss, solange ist auch Anki relevant dafür. Und ich glaube, das wird sich so schnell nicht ändern.

Wenn ich darüber nachdenke: „Wie könnte man das Jurastudium zeitgemäßer machen? Was könnte man ändern?“, dann fallen mir zwei Sachen ein. Das Erste, das ich als unnötig grausam empfinde, ist, dass die wirklich anspruchsvolle, alles entscheidende Prüfung bei uns erst ganz am Ende steht. Gerade wenn man das mit dem Medizinstudium vergleicht, wo schon am Anfang eine relativ harte Prüfung gestellt wird, und die Leute die Chance haben, zu merken: „Das ist eigentlich nichts für mich.“ Das scheint mir deutlich besser als die Reihenfolge bei uns, durch die viele erst ganz am Schluss merken, wie hart und anspruchsvoll unser Fach eigentlich ist, und deshalb viel Zeit verlieren. Die Zwischenprüfungen wurden schon vor meiner Zeit eingeführt, aber das war vor diesem Hintergrund sicherlich sinnvoll.

Wenn ich frei entscheiden könnte, wie unser Studium aufgebaut wird, dann ginge das bei mir in die Richtung „Examensvorbereitung ab dem ersten Semester“. Ich würde versuchen, den Leuten von Anfang an brauchbare Lernkompetenzen zu vermitteln. Vielleicht sogar als benotete Pflichtveranstaltung Wissen zu Spaced Repetition und ähnlichen Werkzeugen abprüfen. Ich glaube, davon hätte man viel mehr, als die paar Informationen, die man sich aus seiner Anfängervorlesung BGB AT im ersten Semester noch behält. Wenn man gleich zu Beginn dazu gezwungen ist, sich damit auseinanderzusetzen, wie man am besten lernt, hat man ab dem ersten Semester die Chance, für das Examen zu lernen. Ich denke, man könnte dadurch insgesamt einige Semester einsparen.

Bisher ist das Vorgehen immer: Ich lerne in jedem Semester nur die Fächer, die am Ende abgeprüft werden. Dieses Wissen wird dann über die Semesterferien wieder komplett vergessen. Natürlich hört man überall, man solle wiederholen. Kein Mensch macht das, weil keiner weiß, wie genau das realistisch funktionieren soll. In der Examensvorbereitung fängt man dann nochmal mehr oder weniger bei null an. So kenne ich das. Ich denke, das ginge deutlich besser. Man muss den Leuten aber ganz konkret zeigen, mit welchen Werkzeugen und wie man diese beherrscht. Wenn man das macht, hat man die Chance, da wirklich etwas herauszuholen. Das finde ich sinnvoller, als in die Richtung zu überlegen: „Wie kann man das Studium angenehmer gestalten? Sollten wir vielleicht die Anforderungen heruntersetzen?“

Das Schöne an diesem Ansatz ist, dass jeder schon heute die Option hat, so vorzugehen. Man muss da nicht auf irgendwelche langwierigen Reformen von oben hoffen, sondern das Individuum, der Einzelne kann selbst entscheiden, ob er das möchte und das einfach ausprobieren. Natürlich gibt es auch Leute, die haben keine Lust, es direkt ab dem ersten Semester ernst anzugehen und schon an das spätere Examen zu denken. Das muss jeder selbst entscheiden. Aber die Option ist da und ich denke, das wäre einfach etwas komplett anderes.


Was möchtest du künftig noch mit deinen Basiskarten erreichen?

Das Hauptproblem in unserem Fach ist, dass es kaum möglich ist, einen Überblick über den enormen Berg an Informationen zu bekommen. In diesem totalen Überangebot sollen die Basiskarten eine Selektion des wichtigsten Wissens sein. Sie zeichnen sich durch Klarheit, Verständlichkeit und auch durch einen Schuss Humor aus. Das Prinzip würde ich gerne auf viele weitere Bereiche ausdehnen. Das ist eine wirklich spannende Aufgabe. Ich habe dabei schon viel gelernt über Lernen an sich, über Psychologie, über benutzerfreundliches Design, über Programmierung. Es gibt unglaublich viel zu tun, da ist das Ende noch lange nicht erreicht. Das würde ich gerne in Zukunft machen.


Lieber Thomas, danke für das Gespräch!


Christiane Wörgötter

Dieses Interview wurde von Christiane Wörgötter geführt. Christiane ist seit März 2021 Mitglied bei eLegal und ist im zwölften Semester in ihrem Jura Studium an der Universität Göttingen. Sie hat ihren staatlichen Pflichtfachteil abgeschlossen und absolviert ihre Schwerpunktsbereichsprüfung.

 
Vincent Graf